Subjekte

Menschen können nur als Menschen sein, indem sie einander Subjekte sind.

Paradigmata • About • Glossar ↑ • Theoretische Anthropologie • Über mich • History • Impressum •  BlogRSS 2.0

Nach oben Übersicht Die Planmäßigkeit Fließgleichgewicht Instinkte Reafferenz Tätigkeitsbegriff Konsequenzen Gerichtete Evolution Mutabilität Konvergenz Frankfurter Theorie Pyche/Erkennen Subjektwissenschaft

Das Paradigma der Planmäßigkeit

Uexküll entwickelte eine neue Sichtweise wissenschaftliche Sichtweise auf das Lebendige, das sich von den physikalischen und chemischen Eigenschaften durch seine "Planmäßigkeit" unterscheidet. Diese Leistung wurde und wird kaum rezipiert. Bis heute wird vorwiegend sein Beitrag zur Entwicklung des Umweltbegriffs genannt, dieser jedoch meist sinnentstellend auf den ökologischen Aspekt reduziert.
Im Vorwort seiner "Theoretischen Biologie" schreibt er:

„Darum muß man der Frage, ob es in der lebenden Natur selbständige planmäßige Faktoren gibt, auf andere Weise zu Leibe gehen, indem man die Natur in ihrer planmäßigen Wirksamkeit belauscht und der negativen Behauptung ein positives Beweismaterial entgegensetzt.
Dies Beweismaterial hat sich in den letzten Jahren derart angehäuft, daß man die Frage wohl als entschieden ansehen darf. An den Satz: ‚ Omnis cellula e cellula’ darf man den Satz hinzufügen : ´Alles Planmäßige aus Planmäßigem´.
Damit wurde ein neues Gerüst für die Biologie notwendig, das bisherige Gerüst, das man der Chemie und der Physik entliehen hatte, genügte nicht mehr. Denn Chemie und Physik kennen das Planmäßige als Naturfaktor nicht. Die Biologie besteht aber in der Aufstellung eines Gerüstes von Lehrsätzen, die das Planmäßige als Grundlage des Lebens anerkennen.“

Dieser Standpunkt setzte ihn in Widerspruch zur Evolutionstheorie und speziell zum Darwinismus. So schreibt er beispielsweise:

„Der Enthusiasmus, mit dem sich die Darwinisten für den Entwicklungsgedanken einsetzen, entbehrt nicht einer gewissen Komik, nicht bloß darum, weil ihre Weltanschauung, die sich prinzipiell auf Physik und Chemie stützt, aus diesen Wissenschaften den Entwicklungsgedanken gar nicht schöpfen kann, da Chemie und Physik jede Entwicklung prinzipiell ablehnen. Sondern vor allem deswegen, weil das Wort Entwicklung gerade das Gegenteil dessen ausdrückt, was damit gemeint ist.“ (S.196)

In dieser Position zu der dem Zeitgeist entsprechenden Evolutionstheorie könnte eine Ursache dafür zu suchen sein, dass sein Gedankengut eine so geringe Resonanz in der Biologie gefunden hat.
Auch sein Begriff der Umwelt ist nur in diesem Zusammenhang adäquat zu verstehen. Dem wird der evolutionstheoretischen Rezeption des Uexküllschen Systems nicht genügt. In der darwinistischen Evolutionstheorie wird der Umweltbegriff im Kontext mit dem Begriff der Anpassung verstanden. Die Umwelt ist so die Gesamtheit der äußeren Bedingungen, an die sich die Lebewesen anpassen. Diese Vorstellung ist mit dem Umweltbegriff Uexküll´s unvereinbar. Im seinem Verständnis ist die Umwelt von der Umgebung zu unterscheiden. Das Lebewesen ist als Subjekt der Konstrukteur, der aus der Umgebung nach Maßgabe seiner Subjektivität seine Umwelt bildet.

Die Auffassung der Lebewesen als Subjekte ist die zentrale Kategorie im Uexküllschen Gedankensystem. Sie impliziert zunächst die Planmäßigkeit der biotischen Natur. Die Aktionen eines autonomen Subjekt können nicht als zufällig, stochastisch gedacht werden. Die Lebewesen würden dann nur als sinnlos zappelnde Entitäten dargestellt werden können. Die Forderung nach Planmäßigkeit der Natur ist also eine notwendige Folge der Auffassung, das Lebewesen Subjekte sind. Die Forderung nach Planmäßigkeit erfüllt Uexküll ohne metaphysische Annahmen, indem er "...die Planmäßigkeit als Naturmacht..." (S.198) auffasst. Das macht die Annahme einer übernatürlichen, immateriellen planenden Kraft überflüssig.
Zugleich gelingt es ihm, das Prinzip der Planmäßigkeit terminologisch widerspruchsfrei an die Planlosigkeit der nicht lebenden Natur anzuschließen.

„Um den Streitfall zwischen Physik und Biologie in das rechte Licht zu setzen, muß  man ganz scharf umrissene Ausdrücke wählen. Die Physik behauptet, daß die uns umgebenen Dinge der Natur nur der Kausalität gehorchen. Solche bloß kausal geordnete Dinge haben wir ‚Objekte’ genannt. Im Gegensatz hierzu behauptet die Biologie, daß es außer der Kausalität noch eine zweite subjektive Regel gibt, nach der wir die Gegenstände ordnen – die Planmäßigkeit, die notwendig zur Vollständigkeit des Weltbildes hinzugehört.
Wenn das Hämmerchen eine Klaviersaite trifft und ein Ton erklingt, so ist das eine reine Kausalreihe. Wenn dieser Ton aber eine Melodie angehört, so ist er in eine Tonreihe hineingestellt, die gleichfalls eine Ordnung darstellt, die aber nicht kausaler Natur ist.
Wir wollen nun diejenigen Objekte, deren Bauart durch bloße Kausalität nicht zu verstehen ist, weil bei ihnen die Teile zum Ganzen im gleichen Verhältnis stehen wie die Töne zur Melodie, ‚Gegenstände’ nennen.
Objekte und Gegenstände bestehen beide aus Stoff, aber im Objekt gibt es keine andere Anordnung der Stoffteile, als sie die Struktur des Stoffes mit sich bringt. Im Gegenstand gibt es außerdem ein Gefüge, das die Teile zu einem planvollen Ganzen verbindet.“ (S. 83f)

In dieser Konstruktion bleiben die Gesetze von Physik und Chemie als Gesetze der Objekte uneingeschränkt gültig, diese sind aber nicht die Gesetze der Gegenstände, die von der Biologie mit naturwissenschaftlichen Methoden erforscht werden.
Wenn es aber keine außernatürliche planende Kraft gibt, muss diese in den Subjekten selbst zu finden sein. Diese logische Forderung erfüllt der Uexküllsche Umweltbegriff, mit die Umwelt zum Konstrukt der Subjekte gemacht wird.
 

 

Weiterführende Links:
Uexküll, Jakob von Uexküll-Archiv für Umweltforschung und Biosemiotik, Jakob von Uexküll Centre, Tartu (Estonia),
Jakob von Uexküll-Archivs für Umweltforschung und Biosemiotik
Weiterführende Literatur:
Uexküll, Jacob von (1928): Theoretische Biologie, Julius Springer, Berlin

Zurück | Weiter

© Dr. G. Litsche 2006
Letzte Bearbeitung: 23.03.2010