Nichts ist in unseren
Sinnen, was nicht zuvor in unserem Verstand war.
Sinn und Bedeutung
Die Termini „Sinn“ und „Bedeutung“ werden in den
Fachsprachen verschiedener Wissenschaften unterschiedlich verwendet.
Logische und terminologische Widersprüche entstehen, wenn sie
unreflektiert und unkritisch von einer Fachsprache in die andere
übertragen werden. Da die Erkenntnistheorie Erkenntnisse aus verschiedenen
Wissenschaften zusammenführen muss, ist ein sorgsamer Umgang mit diesen
Termini erforderlich.
Im Folgenden wird die Verwendung der Termini „Sinn“ und „Bedeutung“ in
ausgewählten Wissenschaften dargestellt. Die von mir benutzte
Verwendungsweise wird in meinen Texten explizit angegeben, wenn sie nicht aus dem Kontext
ersichtlich ist. Sie beruht auf der Verwendungsweise von Georg Klaus, der
sie wiederum von der Verwendungsweise Freges abgeleitet hat.
Allgemein gilt, dass die Termini „Sinn“ und „Bedeutung“ Prädikate
bezeichnen, die den Entitäten von
→Subjekten hinzugefügt werden. Ohne
Subjekte hat (in der Welt der Objekte) nichts einen Sinn und nichts eine
Bedeutung. Sinn und Bedeutung haben Entitäten immer nur in Bezug auf ein
Subjekt. Ein und dieselbe Entität hat für die verschiedenen Subjekte einen
jeweils anderen Sinn und eine jeweils andere Bedeutung.
Da diese Ausdrücke zweistellige Relationen bezeichnen, dürfen sie nie
einstellig, d.h. ohne Bezug auf das zweite Glied verwendet werden. Erst
das zweite Glied macht einen Term vollständig und verleiht ihm einen
verifizierbaren Bezug.
Da diese Relation in den verschiedenen Wissenschaften unter einem anderen
Aspekt betrachtet wird, erweist sie sich von "außen", d.h. außerhalb eines
bestimmten fachwissenschaftlichen Zusammenhangs, als dreistellig: Sinn und
Bedeutung sind Sinn oder Bedeutung einer bestimmten Entität für ein
bestimmtes Subjekt. So ist der Sinn eines sprachlichen Zeichens für ein
Subjekt etwas anderes als der Sinn des Lebens für dieses Subjekt.
Nicht immer geht das Gemeinte eindeutig aus dem Kontext hervor und muss
dann explizit dargestellt werden, was die Sprache gelegentlich etwas
umständlich erscheinen lässt.
In der Semiotik bezeichnen „Sinn“ und
„Bedeutung“ Beziehungen des Zeichens in der Relation Objekt – Abbild –
Zeichen.
·
Der Sinn des Zeichens ist das bezeichnete Objekt.
·
Die Bedeutung des Zeichens ist das gedankliche Abbild des Objekts,
das im Zeichen „ausgedrückt“ wird.
Das Zeichen „bezeichnet“ das Objekt und „drückt“ das gedankliche Abbild
dieses Objekts „aus“. Sinn und Bedeutung sind Eigenschaften des Zeichens.
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Systeme sind reale oder ideelle Konstrukte, die einem
subjektiven Zweck dienen. Dieser subjektive Zweck gibt dem System Sinn und
Bedeutung.
·
Die Leistung oder die Aktion des Systems ist der Sinn des Systems für dessen
Konstrukteur (Designer).
·
Der Beitrag des Systems zur Erhaltung des nutzenden Subjekts ist seine
Bedeutung.
Auch Teilsystemen wird Sinn und Bedeutung zugeschrieben. Die Verwendung
erfolgt adäquat.
In Konstrukten (Artefakten) werden dem System Sinn und Bedeutung von einem
externen Designer zugeschrieben, ihm verliehen. Natürliche Gebilde können in
dieser Denkweise keine Systeme sein; natürliche Entitäten haben weder Sinn
noch Bedeutung, sie haben auch keine Funktion. Sie sind einfach,
sie existieren. Sinn und
Bedeutung
erhalten natürliche Entitäten erst in der Tätigkeit von Subjekten.
Davon ausgenommen sind die Subjekte selbst. Sie sind natürliche Entitäten
(Konstellationen),
die sich selbst erzeugen und erhalten. Nur für sie erfüllen andere
Entitäten eine Funktion und erhalten so Sinn und Bedeutung. Auch die Teile
von Subjekten, die seiner Erhaltung dienen, haben für dieses Sinn und
Bedeutung.
Sinn(2) und
Bedeutung(2) sind in diesem Kontext nicht Eigenschaften von Zeichen,
sondern Eigenschaften von Systemen und deren Komponenten.
Sinn und Bedeutung 3:
Subjektwissenschaften (Biologie, Tätigkeitstheorie)
Das spezifische Merkmal von Subjekten sind ihre sich
selbst erhaltenden Aktionen, die
Tätigkeiten und
Handlungen. Deshalb ist die Tätigkeitstheorie die
Grundlage der Subjektwissenschaften.
In unserer, der menschlichen Anschauung kennen wir
Subjekte nur als Lebewesen unserer Erde. Sie führen zwei unterschiedliche
Formen von Aktionen aus:
·
Selbsterhaltung der Individuen: Tätigkeit.
·
(Selbst) Erhaltung der Arten: Handlung.
Der Terminus „Subjekt“ wird ebenfalls unterschiedlich gebraucht. Als
„Subjekt im weiten Sinne“ ohne Bestimmung der Spezifik der Aktion, als
„Subjekt im engen Sinne“ als „Subjekt der Tätigkeit“. Als „Subjekt der
Handlung“ ist das Lebewesen „Artgenosse“.
Durch die Tätigkeit erhält sich das
Subjekt selbst.
· Die Selbsterhaltung ist der Sinn der
jeweiligen (biologischen) Tätigkeit.
· Der Beitrag einer Tätigkeit zur Selbsterhaltung
des Subjekts ist deren Bedeutung.
Durch seine Handlungen erhält der
Artgenosse die Art.
·
Die Erhaltung der Art ist der Sinn Handlung.
·
Der Beitrag der Handlung zur Erhaltung der Art ist deren Bedeutung.
Tätigkeiten und Handlungen bestehen aus
Operationen
·
Der Beitrag der Operation zum Erfolg der Tätigkeit ist der Sinn der
Operation. Er ergibt
sich aus der Organisation und
Struktur der Tätigkeit.
·
Die Bedeutung der Operation ist ihr Beitrag zur Selbsterhaltung des
Subjekts (individuelle
Bedeutung) oder zur Erhaltung der Art (soziale
Bedeutung). Die Bedeutung ergibt sich aus
dem Bedürfnis oder Trieb des Subjekts.
Sinn und Bedeutung 4:
Anthropologie (Psychologie)
Auch die Aktionen der menschlichen Individuen können
Tätigkeiten oder Handlungen sein. Die Besonderheiten der Beziehungen der
Individuen zu ihrer Gesellschaft machen eine zusätzliche Bestimmungen von
Sinn und Bedeutung erforderlich. Während das individuelle Leben der
nichtmenschlichen Lebewesen außerhalb des Bezugs zum Menschen weder Sinn
noch Bedeutung hat, hat das Leben des Menschen Sinn und Bedeutung in
doppelter Hinsicht. Der subjektive Sinn und die subjektive Bedeutung wird
dem individuellen Leben vom Individuum selbst zugeschrieben.
·
Der objektive Sinn des individuellen Lebens besteht darin, einen
Beitrag zur Erhaltung der Gesellschaft zu leisten.
·
Der subjektive Sinn des Lebens eines Menschen ist der Beitrag zur
Erhaltung der Gesellschaft, den er leisten will, er gibt seinem Leben
seinen individuellen, subjektiven Sinn.
·
Die objektive Bedeutung des individuellen Lebens ist der
tatsächlich geleistete Beitrag zur Erhaltung der Gesellschaft.
·
Die subjektive Bedeutung des individuellen Lebens ist der Beitrag,
der der Mensch zu leisten meint.
Erkenntnisse (R(O, A, Z) sind Resultate menschlicher
Tätigkeit und insofern wird auch ihnen Sinn und Bedeutung zugeschrieben.
Sie ergeben sich daraus, welche Stellung eine Erkenntnis im System der
individuellen oder gesellschaftlichen Erkenntnis hat.
·
Der objektive Sinn einer Erkenntnis ist die Stellung dieser im
System der gesellschaftlichen Erkenntnis.
·
Der subjektive Sinn einer Erkenntnis ist die Stellung dieser im
System einer individuellen Erkenntnis.
·
Die objektive Bedeutung einer Erkenntnis ist ihr Beitrag zur
Erhaltung des gesellschaftlichen Selbstbewusstseins (der
gesellschaftlichen Ideologie)
·
Die subjektive Bedeutung einer Erkenntnis ihr Beitrag zur Erhaltung
des individuellen Selbstbewusstseins ,der individuellen Ideologie.
Diese erkenntnistheoretische Verwendungsweise des Terminus "Sinn" liegt
beispielsweise vor, wenn gesagt werden soll, dass ein Ereignis verstanden
wird. Man sagt dann oft: "Das macht Sinn." und meint, dass eine Erkenntnis
eine andere Erkenntnis erklärt. Eine adäquate Verwendungsweise liegt vor,
wenn von der Bedeutung eines Ereignisses die Rede ist.
Sinn und Bedeutung 6:
Paradigmen und Weltanschauungen
Im Verlaufe seiner individuellen Entwicklung eignet
sich der Mensch ein System von Erkenntnissen an, das er nicht (oder nicht
mehr) reflektiert und nicht mehr ohne Not in Frage stellt. In dieses
Erkenntnissystem ordnet er alle Erscheinungen, denen er im Verlaufe des
Lebens begegnet ein. Solange ihm das einigermaßen widerspruchsfrei
gelingt, haben sie ihren erkenntnistheoretischen Sinn und ihre
erkenntnistheoretische Bedeutung.
Jede einigermaßen entwickelte Gesellschaft hat weiter Verfahren dazu, wie
mit Erscheinungen umzugehen ist, die sie nicht in das gegeben
Erkenntnissystem einordnen kann. Sie werden beispielsweise mit einem
Tabu belegt oder werden als nicht erklärbare Geheimnisse
oder Mysterien angesehen.
In monokulturellen Gesellschaften ist die Sache im doppelten Sinne
„einfach“: es gibt nur ein System gesellschaftlicher Erkenntnisse. Heute
leben wir aber in einer multikulturellen Welt, in der verschiedene
Erkenntnissysteme nebeneinander existieren, die unterschiedliche
Geheimnisse und Mysterien enthalten. Der denkende Mensch gerät schließlich
irgendwann in Entscheidungsnot. Welches der verschiedenen
Erkenntnissysteme soll er zu seiner „Weltanschauung“ machen? Je
nach dieser Entscheidung gewinnen die Erscheinungen der Welt ihren
eigentümlichen weltanschaulichen Sinn und die ideellen Bilder ihre
weltanschauliche Bedeutung.
In der wissenschaftlichen Erkenntnis übernimmt das
Paradigma (Kuhn) oder das
Erklärungsprinzip (Judin)
die Funktion der Weltanschauung . Die heute vor allem in der
westlichen Welt gültigen wissenschaftlichen Paradigmata sind alle
"rationalistisch", was u.a. bedeutet, dass die Existenz prinzipiell
unerklärbarer Erscheinungen nicht zugelassen wird. Die Wissenschaft kennt
keine Geheimnisse und keine Mysterien.
Die im Rahmen eines Paradigmas noch nicht gelösten Probleme sind seine
Rätsel (vgl. Kuhn, S. 51ff.). Die Rätsel der Wissenschaft
zeichnen sich wie gewöhnliche Rätsel durch eine Reihe von Vorgaben und
Einschränkungen aus, die bei ihrer Lösung zu beachten sind. So müssen sie
eine sichere Lösung haben und unterliegen Regeln, welche die Art der
zulässigen Lösungen und die zu gehenden Schritte vorgeben.
Auch wenn auf diesem Wege Daten gewonnen werden, die mit dem Paradigma, in
dem sie erhoben wurden, unverträglich sind, werden sie nicht als
unerklärbar angesehen. Sie sind zunächst „Anomalien“, die durch neue
Theorien erklärbar gemacht werden. In einem meist langwierigen und
komplizierten Prozess werden neue Theorien schließlich von einer
Gemeinschaft von Wissenschaftlern angeeignet und so zu einem neuen
Paradigma.
Die paradigmatische Situation speziell in den Naturwissenschaften
und der Psychologie wurde im Teilprojekt „Paradigma“ dargestellt (). Dort
wird auch erörtert, welche logischen und terminologischen Widersprüche aus
dem Umstand hervorgehen, dass das Paradigmensystem der Biologie nicht die
Kategorie der Psyche enthält und die Psychologie versucht, die Kategorie
der Psyche mit den ihr fremden Methoden der Naturwissenschaften zu
entwickeln. (Mehr>>)