Subjekte

Menschen können nur als Menschen sein, indem sie einander Subjekte sind.

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Methodisches
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Gehirn Psyche Geist

Gehirn - Psyche Geist
Einführung

Das bei der Untersuchung der Organisation neuronaler Prozesse übliche Verfahren ist empirisch. Dieses Vorgehen hat die methodische Konsequenz, dass das System der den Arealen des Gehirns zuzuordnenden psychischen Funktionen keine eigenständige Logik erhält, sondern dass die Logik der psychischen Funktionen der Logik der Hirnanatomie folgt. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Termini zur Bezeichnung psychischer Funktionen dem psychologischen Vokabular entnommen werden. In der Logik der Neurologie geht die psychologische Logik verloren.
Die Untersuchung der psychischen und kognitiven Prozesse widmet ihrerseits den neuronalen Trägern dieser Prozesse kaum Aufmerksamkeit und untersucht so eine „hirnlose Psyche“ und eine Erkenntnis ohne Psyche (Popper).
Im Teilprojekt „Gehirn“ sollen nun die Grundzüge einer Theorie der funktionellen Organisation des Gehirns zu entwickelt werden, welche die Logik der Hirnanatomie aus der Logik psychischer Prozesse als der Funktion der physischen Komponenten entwickelt. Darauf aufbauend kann dann im Projekt „Erkenntnis“ die Logik kognitiver Funktionen aus der Logik der psychischen Funktionen entwickelt werden.
Psyche und Geist werden als unterschiedliche Formen psychischer Funktionen des Gehirns aufgefasst, die sich nacheinander und auseinander entwickelt haben.

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Die Aufklärung der funktionellen Organisation des Gehirns kann also nicht der Logik der Hirnanatomie folgen. Die Frage kann also nicht heißen: „Welche Funktion hat dieses Areal des Gehirns?“
Das erforderliche Vorgehen ist diesem Weg entgegen gesetzt. Die Frage muss also heißen: „Welche funktionellen Leistungen muss ein Organ erbringen, mit welchem ein autonomes System seine Aktionen zu steuern vermag?“ Bereits die Annahme, dass das Nervensystem dieses Organ ist, muss nicht als notwendige Voraussetzung zur Beantwortung dieser Frage angesehen werden. In der Zelle werden diese Leistungen von chemischen Systemen erbracht und in mehrzelligen Organismen werden steuernde Leistungen auch vom Hormonsystem erbracht. Systemtheoretisch ist es gleichgültig, welches Organ eine bestimmte Leistung erbringt.
Wenn in dieser Darstellung an das Nervensystem als Organ der Steuerung gedacht wird, dann ist dies vorwiegend der erforderlichen Anschaulichkeit geschuldet. Wir kennen (noch) keine anderen Subjekte als die Lebewesen und können uns auch (noch) keine vorstellen. Zum anderen geht es hier um die Lösung von Fragen der Erkenntnistheorie, und menschliche Erkenntnis ist eine Funktion des Nervensystems.

Damit wird keinesfalls eine „Psychologie ohne Neurophysiologie“ betrieben, sondern eine konsequent systemtheoretische Neurowissenschaft. Es wird gefragt, welche neuronalen Komponenten für eine psychische Leistung erforderlich sind. Die neuronalen Komponenten werden jedoch nicht anatomisch definiert, sondern funktionell. Es wird zuerst gefragt, was muss eine erforderliche Komponente leisten. Erst dann wird die Frage gestellt, welche anatomisch identifizierbare Einheit oder welcher neurophysiologisch beschreibbare Prozess der Träger dieser Funktion, ihr Substrat ist.
Diese Frage ist eine native Frage der Psychologie, die sie der Neurophysiologie zu stellen hat. Ohne diese Frage bleibt die Neurophysiologie blind.
Die Psychologie stellt diese Frage, indem sie auf die Eigenständigkeit ihres Gegenstandes verweist und eine „Psychologie ohne Hirnforschung"1 betreibt. Eine hirnlose Psyche ist jedoch ein Widerspruch in sich, ist contradictio in adjecto. Die Neurophysiologie nimmt den Verzicht der Psychologie auf das Gehirn ihrerseits zum Anlass für den Versuch, die nativen Gegenstände der Psychologie ihrer Eigenständigkeit zu entkleiden und als ihre Gegenstände zu behandeln. Dadurch aber werden die neurophysiologischen Prozesse zu Prozessen ohne (psychische) Funktion.
Auch das Ergebnis der hier verfolgten Vorgehensweise wird wieder eine Karte der funktionellen Organisation des Gehirns sein. Nur die weißen Flecken sind anders bestimmt: Sie charakterisieren nicht mehr die Frage, welche Funktion ein bestimmtes Hirnareal haben könnte, sondern die Frage, wo liegt das Hirnareal für eine bestimmten Funktion.
Die Beantwortung dieser Frage ist jedoch nicht mein eigentliches Thema. Deshalb wird auf ihre Beantwortung nur soweit eingegangen, wie es das notwendige Maß an Anschaulichkeit erfordert. Es soll immer nur gezeigt werden, dass die konstruierten funktionellen Komponenten sinnvoll den Ergebnissen empirischer Untersuchungen ihrer Träger zugeordnet werden können.
Neurophysiologie, Psychologie und Erkenntnistheorie sind Objektwissenschaften, zu deren Forschungsbereich die Erarbeitung der dazu erforderlichen empirischen Daten gehört. Sie sind noch weit davon entfernt, die Probleme der psychischen Steuerung von Tätigkeiten und Handlungen detailliert beschreiben zu können. Daran hindern sie nicht nur fehlende empirische Daten, sondern auch das Fehlen eines übergeordneten theoretischen Konzeptes, mit dem diese Daten sinnvoll geordnet und interpretiert werden können. Um die Arbeit an so einem Konzept geht es mir.
Die vorliegenden empirischen Daten sind weitaus umfangreicher, als sie in die vorliegenden theoretischen Konzepte eingeordnet sind. Üblicherweise werden jeweils nur diejenigen empirischen Daten in das jeweilige Konzept eingeordnet, die zur Bestätigung des Konzepts erforderlich sind. Auch ich gehe hier nicht anders vor. Mein Konzept strebt jedoch an, alle empirischen Daten in das Konzept einzuordnen. Dass dieses Vorhaben von einem Einzelnen nicht realisiert werden kann, liegt auf der Hand. Jeder kann nur die stets beschränkte Datenmenge einordnen, die er kennt. Der Anspruch aber macht den Ansatz falsifizierbar. Es genügt ein einziges Datum, um ihn zu widerlegen. Dieser Gefahr setze ich mich aus.

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Der größte Teil der aufgegriffenen empirischen Daten ist in der „Theoretischen Anthropologie“ zumindest ansatzweise angeführt, soweit sie nicht als „Lehrbuchwissen“ als bekannt vorausgesetzt werden können. Im diesem Teilprojekt geht es um das Problem der psychischen Steuerung der tierischen Tätigkeiten und Handlungen. Die dargestellten funktionellen Komponenten müssen dazu aus dem Zusammenhang gelöst werden, in dem sie theoretisch rekonstruiert wurde. Diese Texte können also nur in dem im Buch dargestellten Kontext adäquat rezipiert werden.
Eine Besonderheit meines Ansatzes besteht in dem Versuch, die eigenständigen psychischen Entitäten in Bezug auf ihre neurophysiologischen Grundlagen darzustellen. Dieser Zusammengang fehlt sowohl den Konzepten der Neurophysiologie als auch den Konzepten der Psychologie und der Erkenntnistheorie. In der Regel wird zwar von beiden Standpunkten eine Beziehung zwischen neuronalen und psychischen Entitäten postuliert, diese Beziehung ist jedoch im Konzept selbst nicht mehr vorhanden. Es genügt nicht zu postulieren, dass die Psyche eine Funktion des Nervensystems ist, die Psyche muss auch als diese Funktion beschrieben werden. Noch einfacher macht es sich die Erkenntnistheorie, die ihren Gegenstand nicht nur außerhalb des Physiologischen, sondern auch des Psychischen ansiedelt.
Die Konzepte der Neurophysiologie versuchen hingegen, psychische Sachverhalte auf neurophysiologische Prozesse zu zurück zu führen. Damit wird jedoch die eigenständige psychologische Logik eliminiert. Neurophysiologie  und Hirnforschung liefern nur ein eklektisches Bild des Psychischen. Die Logik der Psychologie wiederum kann die die neuronalen Grundlagen des ihres Gegenstandes ebenfalls nur eklektisch darstellen. Neuronales und Psychisches werden so als getrennte Kategorien erfasst.
Natürlich leugnet keine Wissenschaft, dass die jeweils andere gewisse Beiträge zum gemeinsamen Gegenstand leistet. Diese Beteuerungen sind aber nur im Rahmen des allgemeinen Diskurses zum Gegenstand relevant, denn die Kategorien der jeweils anderen Theorie sind in der jeweils dargestellten Theorie nicht von Bedeutung.

 

Empirie:
Im Tierexperiment werden bestimmte Bereiche des Gehirns außer Funktion gesetzt. Die dadurch ausgelösten Änderungen oder Ausfälle psychischer Funktionen werden als Funktion der entsprechenden Gehirnareale interpretiert.
Beim Menschen werden klinische Daten über Funktionsausfälle und Funktionsänderungen infolge von Verletzungen bestimmter Gehirnareale auf diese Weise interpretiert.
Moderne bildgebende Verfahren zur Untersuchung von Gehirnfunktionen ermöglichen es, die physiologische Aktivität einzelner Hirnareale in Abhängigkeit von der Ausführung psychischer Aktivitäten in vivo zu messen und diese bestimmten Arealen zuzuordnen.

Metaphorisch:
In den Bildern der Kognitions-wissenschaft gesprochen sind Psyche und Geist zwei verschiedene Softwarekomponenten, die auf der gleichen Hardware, dem Gehirn, laufen.

 

Zitiert aus:
1 Wissenschaft im Zwiespalt. Streitgespräch. Gehirn & Geist, Heft 7-8/2005, S. 64

Abgelehnt:
Die Veröffentlichung meiner Stellungnahme zum "Manifest" wurde von "Gehirn und Geist" abgelehnt. (Mehr >>)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Aphorismus:
Das Gehirn ist nicht der Spiegel der Welt, sondern das Konstruktionsbüro des Spiegels.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

So ist es gemeint:
Die Regeln eines Diskurses definieren für einen bestimmten Zusammenhang, oder ein bestimmtes Wissensgebiet, was sagbar ist, was gesagt werden soll und was nicht gesagt werden darf und welcher Sprecher was wann sagen darf.

 

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© Dr. G. Litsche 2009
Letzte Bearbeitung: 22.05.2011